Liebes Tagebuch,

schreibe diese Worte hier von nun an in der Hoffnung meinem Dasein einen tieferen Sinn zu verleihen. Hege Vermutung: das Ende mag nah sein. Musste tatenlos vom Küchenfenstersims mitansehen wie Haus Nummer 4 gegenüber einen tollkühnen Welpen adoptierte. Unter den Zweibeinern gilt er dem Anschein nach als “putzig”. Muss auf der Hut sein.

Liebes Tagebuch,

heute mit Schrecken festgestellt, dass die haarlose Großkatze, die mir Obdach gibt, mein aufopferisches Mitbringsel aus Garten immer noch nicht als Geste der Treue und Zuneigung empfindet. War diesmal sogar Rotkehlchen, was doch immer so eingebildet auf dem Goldligusterstrauch rumzwitschert. Muss was falsch gemacht haben. Versuche es morgen erneut mit fetter Ratte von hinter der Tonne.

Liebes Tagebuch,

begab mich heute auf Jagd nach Kellerassel, die seit geraumer Zeit es wagt in Küche ihr Unwesen zu treiben. Sah es als meine Verpflichtung dem Einhalt zu gebieten. Verschätzte unglücklicherweise die Hinter-Kühlschrank-Dimensionen in Relation zu eigenem Körperumfang. Nach etlichen Stunden missinterpretierte Zweibeiner mein Elend als ein Versteckspiel. Versuchte mich mit feinstem Hinterkochschinken hervorzulocken und scheiterte kläglich. Mehreren Fetzen edelsten Brotbelags landeten auf meinem Fell. Möchte nicht näher darauf eingehen.

Liebes Tagebuch,

habe heute meine letzte Ehre durch erfolgreiches Abwehren gegnerische Eindringlinge retten können. 3-farbiger Mischlingskater von zwei Straßen weiter trottete spöttisch in mein hart erkämpftes Territorium. Fühle optimistisch, dass er sich hier nicht mehr blicken lassen wird. Zeigte ihm, wer der Boss ist.

Liebes Tagebuch,

beschloss heute dem tristen Dasein meines Menschleins ein Ende zubereiten. Beobachtete voller Ungeduld wie es bewegungslos an einer Art portablen Flimmerkiste saß (es scheint von niederer Intelligenz zu sein). Musste ihm die Freuden des Lebens beibringen und plumpste mich spontan auf die klackernde Knopfapparatur und begann mit meiner ausgiebigen Fellroutine. Werde mich nicht bewegen. Muss beharrlich sein.

Liebes Tagebuch,

schreibe diesen Eintrag hier aus letzter Kraft. Man hat mich verstoßen. Heute morgen deutete alles auf einen freudigen Tag hin, als der Zweibeiner mein Tellerchen besonders großzügig mit gehacktem Hühnerfleisch in herzhaftem Gelee füllte. Verschlang alles sogleich. Habe seitdem niemanden mehr zu Gesicht bekommen. In meiner Verzweiflung drehte ich alle Toilettenrollen aus ihrer Halterung, in der Hoffnung es würde mich beruhigen. Fehlanzeige. Wie lange ich das noch ertragen kann ist schwer abschätzbar. Es erscheint weiser ohne mich weiterzuziehen. Werde wohl oder übel verhungern müssen. Lebewohl.

 Liebes Tagebuch,

stellte mit Entsetzen fest, dass die häuslichen Autoritäten, denen ich ausgeliefert bin, sich mit dem Feind verbrüdert haben. Mensch kam nach Hause und roch stark nach Köter-von-Nummer-4. Suchte Unterschlupf im Wäschekorb. Immer wachsam.

Liebes Tagebuch,

fand heute besonderen Gefallen daran ins umliegende Land meines Herrschaftsgebiets zu blicken. Der späte Herbst verleiht umliegender Botanik eine prächtig bunte Verkleidung, was mich freudig stimmt. Mein Menschlein erbarmte sich sogar mir ein wenig die Terrassentür zu öffnen. Nahm die Aufmerksamkeit dankbar an– im Türspalt erlebt man immerhin einen idealen Ausgleich zwischen wohlig-warmer Fußbodenheizung und frischem Windchen, das ums Schnäuzchen weht. Wurde dann plötzlich taktlos ins Frische geschubst und die Tür schloss sich. Man fiel mir in den Rücken. Memo an mich selbst: kann niemandem vertrauen.

Liebes Tagebuch,

verbrachte heute recht angenehmen Tag auf schneeweißer Kuscheldecke des Zweibeiners. Konnte dem Textil meine persönliche Note in Form von unzähligen Härchen verleihen (hatte persönlich keine Verwendung mehr für diese). Zweibeiner schien empört beim Anblick meiner Beschäftigung. Hab mich sogleich auf Rücken geschmissen und versuchte besonders “putzig” so wie Welpe-von-Nummer-4 auszusehen. Trick hat geklappt.

Liebes Tagebuch,

mein Misstrauen den heimischen Zweibeinern gegenüber verstärkt sich. Verhielten sich heute äußerst verdächtig als sie mit meinem Transportkörbchen durch die Tür kamen und sich im Spielzimmer verbarrikadierten. Meine, feines Gewinsel vernommen zu haben. Startete Widerstandsaktion und protestierte mit lauthalsem Fellballauswürgen. Keine Anzeichen der Änderung. Nichts ergibt einen Sinn. Es stehen dunkle Zeiten bevor…  

Zuvor erschienen in Mosaik – interkulturelle Zeitschrift

Fotos: Diana Heinze