Viele Frauen und mancher Mann kennen das: Man steht vor seinem Kleiderschrank oder in besonders schlimmen Fällen, zu denen auch ich gehöre, IN  seinem Kleiderschrank, kratzt sich vorsichtig am Kopf und überlegt krampfhaft, was man anziehen soll. Nach etlichen Minuten eindringlicher Betrachtung und des Anprobierens, stellen wir dann fest: Wir haben nichts anzuziehen.

Bevor wir kapitulieren, schütteln wir den Kopf – denn uns ist klar, dass da doch eindeutig noch was im Schrank ist – und gehen ein weiteres Mal die Optionen durch, nur um zum selben Ergebnis zu kommen: Wir haben nichts anzuziehen. Dies teilen wir nun auch unserem Partner oder unseren Zimmerwänden mit, wobei erstere abwechselnd unseren verzweifelten Gesichtsausdruck und den überquellenden Schrank ungläubig anstarren, in ein traumatisiertes Blinzeln verfallen, oder stöhnend etwas tiefer in das Sofa sinken. Individuen, die für diesen Ernstfall trainiert sind, sind schlau genug, nichts zu sagen, sondern im besten Falle mitfühlend – und mitfühlend ist das Schlüsselwort, nicht gelangweilt oder gar – Gott bewahre! – gleichgültig – zurückzublicken, denn ein Kommentar jeglicher Art (Nicht eingeschlossen sind: „Hier hast du meine Kreditkarte, kauf dir doch was Schönes“ und „Ach ja, was ich dir noch sagen wollte: Ich hab noch dieses tolle schwarze Kleid im Auto, das du dir so sehr gewünscht hast!“) führt zu noch unzufriedeneren Frauen und artet oft in Wutanfälle, Beleidigungen (vor allem wenn Mann versucht zu helfen) oder gar Weinkrämpfen mit halb-gebrüllten „Kein Wunder, wenn ich auch so FETT bin!!!“s aus.

So, und jetzt mal weg von der typischen, „typischen“ Frau-zentralen massenmedialen Darstellung dieses Problems und zur trockenen Erläuterung des tatsächlichen Problems und Reaktionen. Nicht jeder lebt und leibt das eben gezeichnete Bild. An der Frustration, die hinter eines solchen Vorfalls steckt, ändert sich jedoch nichts. Das Genervtsein, die sich anbahnende Wut auf sich selbst und die Uhrzeit, das letztendliche Spät-dran-sein oder gar Zu-hause-bleiben – je nach Schweregrad – sind alles realistische, alltägliche Reaktionen, die sich durch alle Altersklassen, Geschlechter und Tempramente zieht – und es ist furchtbar. Psychologisch interessant wäre hier jetzt auch, warum uns Kleidungsstücke so aus der Bahn werfen können – diese leblosen Stofffetzen, die da unschuldig am Kleiderbügel baumeln. Ist es die Wut auf uns selbst? Ist es die Wut auf die eventuelle eigene Unorganisiertheit, Das eigene Einkaufsverhalten, schiere Frustration durch Zeitdruck bedingt? Ich fühle mich intellektuell nicht in der Lage eine faktuell untermauerte Aussage hierüber zu treffen, also lassen wir das.

Wie aber kommt es, dass wir manchmal vor unseren überfüllten Kleiderschränken stehen und tatsächlich meinen, wir hätten nichts anzuziehen? Wir sind ja nicht dumm, die meisten von uns zumindest nicht. Wir sehen ja durchaus, dass da noch was drin ist und ja, mehr als genug. Es ist meistens nicht einmal so, dass nur noch Teile übrig sind, die man nicht mehr mag, weil alles andere in der Wäsche ist. Oder dass uns nichts mehr passt. Oder oder oder…

Wenn ich alle Teile, die ich nicht mehr mag, alle, die mir nicht mehr passen, alle Teile, die nicht zum Anlass oder zum Wetter passen und alle, die in der Wäsche sind, zusammenzähle, bleiben in meinem Fall noch gute 28 Kilogramm an Kleidungsstücken übrig, zwischen denen ich mich entscheiden könnte. Und obwohl mir klar ist, dass mein Fall extrem ist, dürfte es selbst mit deutlich weniger noch lange nicht heißen: „Ich habe nichts anzuziehen!“. 

Trotzdem enden wir mehr als nur manchmal in genau dieser Situation. Ich kann mir wirklich nicht erklären woran es liegt. Ich meine, es ist doch eindeutig noch genug im Schrank, und die Teile sind doch auch ganz schön, oder nicht? Eben. Klar, manchmal fühlt man sich einfach nicht danach, etwas Bestimmtes anzuziehen, aber irgendwas muss sich doch finden lassen? Nein? Okay.

Generationen vor uns haben sich in besagter prekären Lage oftmals den Kopf zerbrochen, trotzdem lernen wir nichts draus. Eltern müssten verpflichtet sein, ihre Kinder für solche Situationen auszubilden. Wenn ich mir meine Mutter so angucke, hat sie selbst aber anscheinend noch nicht den Schlüssel zur Erlösung gefunden und genau daran liegt wahrscheinlich auch, dass wir nicht mit auf den Weg bekommen haben, wie man mit solchen Situationen umzugehen hat. Wir sind dazu verdammt, ein Leben lang leidend vor dem Schrank zu stehen. Wertvolle Lebenszeit wird vergeudet. Es ist ein einziges Drama. Ich will gar nicht wissen, wie viele Stunden ich damit verbracht habe, mir ein passendes Top zu meiner Hose zu suchen, um letztendlich einfach „irgendwas“ überzuwerfen. Ich jedenfalls bin jetzt schon zwei Jahrzehnte auf dieser Welt und warte immer noch auf meine Erleuchtung.