Homer Simpson, Doug Heffanan, Peter Griffin – all diesen Seriencharakteren ist eins gemein: Ihr Übergewicht.

Eine weitere Gemeinsamkeit: Das in Serien und Filmen verbreitete Bild eines dicken Charakters ist entweder gekennzeichnet von Faul-, Dumm- und Ungeschicktheit oder stellt jenen Charakter als Bösen hin. Ähnliche Assoziationen sind auch übergewichtige Menschen des richtigen Lebens in großem Maße ausgesetzt.

Fat Shaming bezeichnet als eine Form des Lookism, der Diskriminierung aufgrund von Äußerlichkeiten, das Erniedrigen oder Beschämen von Leuten, deren Körper nicht in das Schönheitsideal „Dünn“ passt. Was bedeutet dies aber für die Betroffenen und was sagt es über uns aus?

Schlank war und ist jedoch kein universelles Ideal. So galten in der Renaissance nicht nur dickere Körper, sondern gar ein Doppelkinn als erstrebenswertes Schönheitsmerkmal, erst mit den Anfängen des 20ten Jahrhunderts bildete sich im Westen das Schlankheitsideal heraus. Auch heute ist jenes westliche Schönheitsbild nicht von kulturübergreifender Gültigkeit. Der Gedanke, dass Körperfülle von Wohlstand zeugt, da die genährte Person offenbar über genügend Lebensmittel verfügt und somit auch in der Lage ist, eine Familie zu ernähren, ist in Ländern mit unsicherer Versorgungslage noch heute vertreten. Woher aber kommt die neumodische Idee der westlichen Welt, Fett sei alles andere als ansehnlich und gar Ausdruck schlechten Charakters?

War das Fett früher Zeichen von Wohlstand, so ist heute der dünne Körper ein Indiz für diesen. Der schlanke Mensch kann es sich leisten, auf gesunde Ernährung zu achten, dem Dicken wird entsprechend Krankheit und mangelnde Disziplin unterstellt. Bestärkt wird Einordnung dicker und dünner Menschen in die Schubladen gut und schlecht durch die mediale Präsenz schlanker oder normalgewichtiger Personen. Sind Dicke im Fernsehen meist negativ oder schlichtweg gar nicht mehr präsentiert, so sind sie in Zeitschriften lediglich insofern präsent, als dass unter ihrem Bild – vorzugsweise eines mit fettigen Haaren, denn ein gepflegtes Äußeres und ein dicker Körper zusammen wären ja undenkbar – neue Diätmaßnahmen vorgestellt werden. „Sei so wie Du bist!“, titelt die durchschnittliche Frauenzeitschrift mindestens in jeder zweiten Ausgabe und stellt daneben diverse Methoden vor, den eigenen Körper um 180 Grad umzupolen. Mögliche Diäten zeigen dabei stets auch ein Vorher- und ein Nachherbild, bei dem das Model auf dem Vorher-Bild selbstverständlich mit nach unten hängenden Mundwinkeln portraitiert wird, ein solches Gewicht mache schließlich generell unglücklich. Eine Gewichtsabnahme – das heißt nicht nur Pfunde, sondern auch alle Probleme im Nirvana verschwinden lassen. Sowas wie Unsicherheiten oder Traurigkeit ist im Land der Dünnen kein Thema mehr.

Hier greift ein zentraler Punkt des Fat Shamings an. Unglücklich? Ja, das macht ein solches Gewicht nicht selten? Ungesund? Ja, auch das ist es nicht selten. Was jedoch gerne übersehen wird: beides hängt miteinander zusammen. Das Übergewicht einer Person ist insofern ungesund für sie, als dass jene fortan Opfer einer Gesellschaft wird, die sie nicht akzeptieren und sie für das Übergewicht gar strafen wird. Der Satz „Du bist zu dick!“ stellt längst eine universell verwendbare Antwort dar. Sei es auf die Frage „Warum darf ich nicht mitspielen?“ auf dem Schulhof oder auf das Wundern eines Bewerbers, warum er trotz vergleichbarer Qualifikationen nicht für ein Bewerbungsgespräch in Frage kam. Eine ständige Konfrontation mit solcher Ausgrenzung kann sich für den oder die Betroffene/n als psychische Belastung erweisen und infolgedessen auch physische Resultate mit sich bringen.

Übergewicht kann demnach einen ungesunden Körper bedingen, ja. Es bedeutet jedoch nicht wie irrtümlich von der schon beim Gedanken an Fett angeekelt aufschreienden Gesellschaft angenommen, jeder Übergewichtige sei krank. Ein „Ih, guck mal, der Fette da“ ist in der Regel weitaus ungesünder als all dessen überflüssige Kilos addiert.

Aber nein, selbstverständlich bestimmt sich die Gesundheit eines Körpers lediglich über dessen Statur. Der angewiderte Blick der Wartenden am Bahnhof als sich ein korpulenterer Mann setzt und in sein Brötchen beißt, ist vollkommen gerechtfertigt. Das geflüsterte „Wenn er so weiter isst, wird er noch an seinem Fett ersticken! Gesund ist der nicht“ einer Schülerin zu ihrer Klassenkameradin ebenso. Tatsächlich machen mehr Faktoren als bloß der des Gewichtes den gesundheitlichen Zustand einer Person aus. So wie sich Untergewichtige und Übergewichtige bester Gesundheit erfreuen können, kann auch der nach dem BMI im Normalgewichtsbereich zuzuordnende Bürger in einer schlechten medizinischen Verfassung sein. Fat Shaming tut der Gesundheit eines Menschen nichts Gutes – im Gegenteil. Der Punkt, an dem wir auf den Merkmalen eines Menschen herumhacken, ist der, an dem wir aktiv in seinen gesundheitlichen Zustand eingreifen und ihn in eine negative Richtung lenken.

Gesundheit, gut, okay, aber zumindest Faulheit und unausgewogene Ernährung bleiben zutreffend für Übergewichtige! „So wie die aussieht, isst sie, wenn sie nach Hause kommt, sicher erst mal 3 Tüten Chips“, tuscheln die Klassenkameradinnen von Marie im Sportunterricht. „Vorm Fernseher auf dem Sofa chillen und das jeden Tag. Die einzige Anstrengung der Griff in die Keksdose“, spekuliert eine der Freundinnen. „Zumindest bis es dann fett Abendessen gibt, dazu steht sie dann auch mal auf“, erwidert die dritte und erntet Lacher von den Umstehenden. Genetische Voraussetzungen und krankheits- oder durch Medikamente bedingte Zunahme sind lediglich 3 Aspekte, die zeigen, wie falsch auch diese verallgemeinerten Urteile sind. Die zeigen, dass die Ursachen für ein hohes Gewicht an verschiedenen Ansatzpunkten zu finden sind. So wie auch der faulenzende, Fast-Food in sich hineinstopfende Mensch durch einen gut arbeitenden Stoffkreislauf im normalen BMI-Bereich sein kann, kann sein aktiver und sich bewusst ernährender Nachbar übergewichtig sein.Während Fat Shaming also lediglich negative Auswirkungen auf gesundheitliche Zustände von Menschen hat, so begünstigt die Akzeptanz von Übergewicht und das ausbleibende Zurückschrecken vor dem Wort „Fett“, als sie es ein Todesurteil, keine weitere Gewichtszunahme. Das einzige, was bei diesem Verhalten ausbleibt, sind Formen der aktiven Diskriminierung.

Dies ist kein Aufruf, Gewicht zuzulegen. Aber es ist ein Aufruf, sensibler in unseren Urteilen zu werden. Uns bewusst zu sein, dass ein Gewicht weder ein Aushängeschild für die Eigenschaften einer Person noch für seine Gesundheit noch für sein Glück ist. Uns, wenn wir das begriffen haben, auch darüber klar zu werden, dass wir kein Recht haben, einen anderen Körper zu verurteilen oder den Menschen in diesem Körper zu strafen. Und ich hoffe, hoffe wirklich, dass niemand, der meint, das begriffen zu haben, danach einen Kommentar à la „Stimmt schon, richtige Frauen haben eh Kurven“ im Kopf herumschwirren hat, in dem ehrlichen Glauben Thin- oder Skinny-Shame sei in irgendeiner Weise angemessener als Fat-Shame.

Foto: Uwe Wagschal / pixelio.de