Georges Delnon, Intendant der Hamburger Staatsoper erzählt über sein Leben, seine Arbeit und die Kunst Oper zugänglicher zu gestalten.
Fangen wir doch mal am Anfang an – wie kommt man denn da hin, wo Sie jetzt sind?
Ich hatte schon immer den Wunsch Regie zu machen, natürlich am liebsten Film, dachte ich damals. Es waren die 70er Jahre, all die großen Filme und großen Regisseure fand ich toll. Aber ich hatte gar keine Ahnung wie ich da überhaupt rein kommen sollte. Da Meine Mutter Sängerin war, hatte ich viel Kontakt zum Theater und deshalb hab ich dann nach dem Abitur Kunstgeschichte und Musikwissenschaft studiert und parallel dazu am Theater in Bern assistiert. Ich war noch nicht ganz entschieden auch Architektur hat mir gut gefallen und Mode, aber ich hab schließlich mit dem Studium weitergemacht. Und mit Anfang 20 habe ich meine erste Regie gemacht, das war eine Oper bzw. Musiktheater. Dann kam die zweite Regie und eine dritte und vierte und so wurde ich fester Regisseur und Mitarbeiter des Direktors am Theater Luzern.
Im Laufe der Zeit wurden die Angebote interessanter, auch in Deutschland und Frankreich. Zwischenzeitlich habe ich geheiratet und mit dem zweiten Kind wurde die Rumreiserei zu den einzelnen Engagements immer schwieriger und da habe ich eine Entscheidung getroffen. Möglicherweise ist es der Intendanten-Beruf geworden, weil es spannend ist Verantwortung zu übernehmen für eine künstlerische Linie, für ein Theaterprofil. In den 90er bin ich nach Koblenz geholt worden. das war natürlich erstmal – nichts gegen Koblenz, auch ‘ne schöne Stadt – grausam für meine Familie (lacht) Für so eine verwöhnte schweizer Familie nach Koblenz zu ziehen war hart. Es war dann doch angenehmer als befürchtet und nach kaum einem Jahr hatte ich das Angebot der Ministerin von Rheinland-Pfalz für das Staatstheater Mainz auf dem Tisch.. Das ist ein relativ großer Laden, mit rund 450 Mitarbeitern und zwei großen und einer kleinen Bühne. Das war für mich eine schöne Zeit, weil es dort viele spannende Menschen gab, die ich zusammenbringen und vernetzen konnte. Das war für mich speziell. Und natürlich haben wir auch versucht eine möglichst spannende Theaterarbeit zu machen und waren grade in der Oper ziemlich erfolgreich. Und dann kam ein Brief aus Basel und die Frage ob ich kommen möchte. Ich empfand das als den richtigen Zeitpunkt. In der Schweiz ist es eigentlich oft so, dass man als Schweizer nicht unbedingt in die interessanten Positionen reinkommt.Woran liegt das?
Ich führe das immer auf die Sprache zurück und den Umstand, dass wir sprachlich unterlegen sind. Und dadurch das Gefühl haben, wir seien kulturell nicht ganz gleichwertig. Wir schauen eigentlich zu Deutschland auf, auch zu Österreich, weil die Österreicher eine großartige Kulturgeschichte haben. Die Schweizer hatten immer das Geld, um sich die beste Kultur zu leisten… Es hat auch mit dem Mix an Deutsch, Französisch, Italienisch zu tun – es gibt diese Identität, die sich aus einer Sprache bildet in diesem Sinne nicht wie es sie in Deutschland oder in Frankreich gibt. Unsere Identität ist ein Mix. Und ich glaube, das was wir eben gut können ist vermitteln, zwischen den Kulturen und da irgendwo einen eignen Weg dazwischen finden. Aber wir haben kein kulturelles Selbstbewusstsein,.
Ich hatte jedenfalls große Lust zurück in die Schweiz zu gehen und Basel war schon immer mein Traumtheater gewesen. Es ist ein super Haus ist und Basel eine tolle Stadt,. Dann nach 6 Jahren Basel kam der Anruf aus Hamburg.Was hat sie überzeugt hierher zu kommen, wo Basel so schön war und ein Traum von Ihnen?
In der Schweiz ist es so, dass, auch wenn die Regierung sagt: „Wir geben dem Theater mehr Geld“ und das Parlament zustimmt die Bevölkerung darüber abstimmen kann. Und bei dieser Abstimmung haben wir mit 51 zu 49% verloren.
Und dann ging’s nach Hamburg.
Genau. Es war das Bedürfnis, in eine größere Stadt zu ziehen. Basel war toll, aber… es gibt einen sehr schönen Satz von einem Autor: „In Basel ist man immer schon da, wo man eigentlich hin wollte.“ Das finde ich schön formuliert, Basel ist eben klein. Dann kam der Anruf aus Hamburg. Ich kannte Hamburg nicht so gut, aber ich fand essehr interessant. Ich hatte viel gehört von der Stadt und der Kultur und mich reitze, dass gerade die Elbphilharmonie gebaut wird. Aber das war nur ein Nebengrund, ich fand es auch sonst attraktiv. Es hat zeitlich gut gepasst. Und nach 10 Jahren Basel ist man offen für etwas Neues und das war der richtige Moment. Dann ging es darum, wer als musikalischer Chef mir mir kommt und es wurde Kent Nagano – worüber ich sehr froh und glücklich war, weil ich ihn kannte und viel gehört habe und es eine gute Konstellation fand. Da hat für mich alles gestimmt,. Meine Kinder sind aus dem Haus, studieren in Zürich so gab es kein Hindernis, um Richtung Hamburg zu gehen.Wie lange sind Sie jetzt schon hier?
1 3/4 JahreNa da ist ja noch etwas Zeit bis wieder das Fernweh ruft
Ja, ich bin niemand, der wahnsinnig lange plant. Das hab ich schon in Basel gesagt. Ich bin ja als Gymnasiast von Bern aus oft nach Basel gefahren, weil, das muss man dazu wissen, als Berner mag man Zürich nicht. Man mag alles andere, aber nicht Zürich. Und dann geht’s halt nach Basel, da mag man Zürich auch nicht.
Mag man Zürich irgendwo?
Theoretisch ist es ein bisschen wie mit Bayern-München – alle sind dagegen, außer diejenigen, die dort sind. Meine Kinder sind jetzt in der Situation in der sie Zürich verteidigen. Aber das ist das übliche Spiel und deshalb sind wir als berner Jugendliche sehr viel nach Basel gefahren. Und das Theater Basel war immer das Spannendste wo am meisten los war. Zudem war Basel auch immer die linke Stadt in der Schweiz und es hatte Kult. Als ich Direktor wurde vom Baseler Theater war das schon mehr als ich je erwartet habe, karrieremäßig.Was sind eigentlich genau Ihre aufgaben als Intendant?
Ganz einfach: Sagen was man macht und mit wem man es macht.
In allen Bereichen?
Ja
Also können Sie auch mitreden, wenn es um das Programm geht, das wählen Sie aus?
Ja, also den Spielplan und wer was macht.Und was machen Sie besonders gern? Was bringt Ihnen besonders Freude?
Morgens, wenn ich keinen Druck habe, einen Kaffee trinken und in der Probe sitzen.Ich vergleich meinen Job ein bisschen mit chinesischen Varieté-Künstlern, die Teller auf Bambusstöcken drehen – ab 20 Tellern wird’s viel und dann muss man unglaublich alert sein um zu wissen: „Jetzt muss ich hier und dort und jetzt muss ich da sein.“
Gibt’s irgendwas was Sie gar nicht mögen?
Ja, Sitzungen (lacht) Ich habe eine sehr unkonventionelle Art zu führen, weil ich Sitzungen nicht mag und immer versuche die zu umgehen. Das ist sehr schweizerisch. Man versucht die Dinge so direkt und diplomatisch zu lösen wie möglich, aber immer sofort. Ich bin zum Beispiel auf meinem Handy nie zwei Mails im Rückstand. Ich beantworte alles immer sofort. Ich brauche diese Klarheit und ich lasse nichts anbrennen. Ich vergleich meinen Job ein bisschen mit chinesischen Varieté-Künstlern, die Teller auf Bambusstöcken drehen – ab 20 Tellern wird’s viel und dann muss man unglaublich alert sein um zu wissen: „Jetzt muss ich hier und dort und jetzt muss ich da sein.“ Und das Problem bei den Varieté-Künstlern ist: das Einsammeln der Teller gehört auch zur Nummer. Es ist ja nicht so, dass man dann einfach denkt „Ok jetzt bricht alles zusammen“
Das ist für mich das Bild was ich habe, ich denke: „Nicht zu viel gleichzeitig.“
In dem Moment leistet man es vielleicht sogar, aber es geht an die Substanz immer so viele Dinge gleichzeitig zu denken. Für mich ist Begrenzung ganz wichtig geworden.
Gibt es eine lustige, verrückte oder anderweitig erwähnenswerte Anekdote aus dem Berufsleben, die Sie teilen können?
Man erlebt ständig Verrücktes hier. Weil zum Beispiel plötzlich ein Sänger am gleichen Tag absagt, und dann sucht man und findet keinen Sänger der das leisten kann und dann spielt der Assistent oder der Regisseur selber und ein Gastsänger singt von der Seite und so weiter.
Man sollte in Hamburg bloß nicht versuchen lustig zu sein.
Spielen Sie selber irgendwelche Instrumente?
Ja, aber nicht viele.
Aber mit Freude?
(überlegt) Joah…nicht mehr so. (lacht). Nee, aber früher hab ich das versucht.
Also werden Sie demnächst wohl nicht irgendwo einspringen wenn mal jemand fehlt?
Nee, aber ich bin oft eingesprungen, sehr lustig. Auch in großen Rollen und bei Vorstellungen.
Wird das dann groß angekündigt oder versucht man das ein bisschen zu überspielen.
Nee, man sagt es dem Publikum vorher natürlich. Man macht immer in diesem Fall eine möglichst humorvolle Ansage – was in Hamburg nicht ganz einfach ist. Man sollte in Hamburg bloß nicht versuchen lustig zu sein. Das typische Publikum der Staatsoper ist etwas gediegener und eleganter und die sind eben zum Teil etwas trocken. Da lebt man nach dem Motto: nicht gemotzt ist schon gelobt.
Wie schafft man denn da den Spagat zwischen dem Traditionellem, Klassischem; Sachen, die das Publikum „erwartet“ und vielleicht auch mal Neuem, weil man vielleicht eben auch mal was ausprobieren möchte?
Für mich war das eigentlich in all den Jahren nie eine Entscheidung, die ich so abgewogen habe. Es war immer Risiko, immer in 20 Jahren. Immer ausprobieren, immer riskieren, immer was Neues. Zum Beispiel „die Zauberflöte“, da wurde gebuht, weil alle aus den Stühlen gefallen sind.
Meine Devise ist immer: „Machen!“ Dann buhen sie halt und finden es in diesem Moment furchtbar und dann geht’s weiter. Ich hab es nie in Frage gestellt, etwas Neues auszuprobieren.
Zieht man mit solchen Projekten dann auch eher jüngeres Publikum an? Und wie sehr steht man da in Konkurrenz zu den Musicals, grade hier in der Musicalstadt Hamburg?
Ja, jüngeres Publikum hab ich festgestellt. Und ja, was heißt Konkurrenz, man ist immer in Konkurrenz, Das Angebot ist einfach auch durch die Elbphilharmonie, größer geworden, toller, attraktiver. Ich hab da keine Berührungsängste mit König der Löwen oder anderen Musicals. Im Endeffekt stehen wir alle auf dem gleichen Marktplatz mit den Tomaten und Gurken, die wir zu verkaufen haben. Ich versteh nicht, warum man sich dann abheben will und sagt: „Ich bin Hochkultur und das ist niedrige Kultur“ Stimmt für mich nicht.
Die Zielgruppen sind halt oft etwas unterschiedlich.
Ja, die Zielgruppen sind natürlich unterschiedlich, da hat man ein ganz anderes Produkt und das will man an die Leute bringen. Aber: wenn ich mein Produkt, „Zauberflöte“ zum Beispiel, an ein neues Publikum bringen kann, ist das wunderbar, ich wär ja auch blöd, wenn ich’s nicht machen würde.
Ist das auch ein bisschen Ihre Lebensphilosophie oder nur im Berufsleben so?
Nein, das ist die Philosophie des staatlich subventionierten Theaters. Wenn ich kommerziell denke und einfach nur nach Zahlen Einnahmen gehe, dann sollte ich kein staatlich subventioniertes Unternehmen führen, sondern lieber auf dem freien Markt arbeiten. Das mache ich bewusst nicht, weil ich weiß, dass ich die vielen Steuermillionen für das was ich hier mache brauche. Wir haben rund 800 Mitarbeiter, die will man jeden Monat bezahlen können. Viele Menschen sind immer erschrocken darüber, wenn sie erfahren, dass wir Etats zwischen 70 und 80 Millionen haben. Aber so viele Menschen leben davon.
Was ist die größte Herausforderung in Ihrem Berufsbild?
Davon gibt es Mehrere.
Sich nicht so wichtig zu nehmen und sich immer darüber klar zu sein, was für eine Funktion man hat. Man ist eben nicht der, der auf der Bühne steht und unglaublich toll singt oder unglaublich toll dirigiert, sondern man ist Intendant. Das ist auch schön, man entscheidet wer es sein darf, aber ich finde das sollte einem nicht zu Kopf steigen. Dass man da irgendwie denkt man ist selber der große Künstler.
Und das andere sind die „vietnamesischen Teller“. Man sollte nicht verzweifeln und nicht an den Punkt kommt an dem man denkt „Es sind zu viele Baustellen, ich krieg das nicht mehr geregelt.“
Ich wollte auch nie Chefarzt in einem Krankenhaus werden, weil ich nachts ungern aufstehen würde. Oder man ist irgendwo eingeladen und dann darf man nicht trinken weil man denkst „vielleicht muss ich gleich noch operieren.“ Und eigentlich ist es immer das gleiche, eigentlich wär’ ich doch lieber Postbeamter geworden, wo ich klare Zeiten gehabt hätte. (lacht) Und dann macht man eben doch so ‘nen Job, wo so viel Unvorhergesehenes passiert, wo plötzlich einer krank wird oder die Drehbühne nicht funktioniert, so wie letzte Woche. Es spielt aber das ganze Stück auf der Drehbühne und was macht man dann? Muss man improvisieren. Die Sänger müssen dann zu Fuß von a nach b laufen. Ständig passieren solche Sachen.
Und dann auch gerade in Berufen wo viele Menschen an einem Projekt zusammenarbeiten.
Ich hab immer gesagt, die höchste Kunst ist ein Musiker mit seinem Instrument allein und je mehr Menschen dazukommen, umso approximativer wird die Kunst.
Und dann vermutlich die Schwierigkeit immer noch das zu transportieren, was man mit dem Projekt transportieren wollte.
Ja das ist ganz schwer, ich merke, je mehr Menschen an der Kreation beteiligt sind, umso mehr verwässert die Idee. Umso schwieriger wird es den Grundgedanken rüberzubringen.
Wie kann man es schaffen junges Publikum in die Oper zu locken?
Mit dem, was wir machen zum Beispiel: eine Oper für Kinder und Jugendliche. Zauberflöte für Kinder.
Und funktioniert das gut?
Das werden wir dann sehen (lacht)
Es darf nicht sein, dass man nur teuer und elitär ist, dass nur bestimmte Leute kommen können, da muss Vermittlung auch anders stattfinden.
Und so generell? Das ist ja bestimmt nicht der erste Versuch, ein jüngeres Publikum anzuziehen, oder?
Nein, ist es nicht, wir versuchen ständig neue Dinge anzubieten. Das findet auch guten Absatz. Aber das sind Projekte, hinter denen die Stadt und die Schulleitungen stehen, das will man ja. Das Spezielle an unserer „Zauberflöten“-Geschichte ist, dass die beiden Chefs des Hauses sich darum kümmern. Das ist ungewöhnlich. Die großen Chefs machen normalerweise die großen Produktionen und dass die das Jugendstück machen ist ein Zeichen. Und wir gehen damit auch raus nach Altona und nach Bergedorf. Und wenn es sich als sinnvoll erweist, werden wir noch weitere Stadtteile in Hamburg bespielen. Hamburg ist eine Stadt mit extremen Unterschieden in den Stadtteilen. Da sind große soziale Unterschiede sichtbar. Es gibt Stadtteile, aus denen kommen die Kinder das erste Mal mit 10 Jahren in die Innenstadt.
Die erste Idee für Hamburg, die ich hatte – die ich natürlich auch irgendwo geklaut habe, die besten Ideen sind immer irgendwo geklaut – war, unsere Spielzeiteröffnung, die Oper „Les Troyens“ auf Großleinwand am Jungfernsteig zu übertragen, damit alle Hamburger umsonst Zugang dazu haben. Um zu sagen: „Das ist eure Oper, wir machen das für euch.“ Das hat etwas bewegt in der Stadt. Es darf nicht sein, dass man nur teuer und elitär ist, dass nur bestimmte Leute kommen können, da muss Vermittlung auch anders stattfinden. Und für mich sind das die wichtigen Dinge, heraus zu gehen und zu sagen: „Wir sind eure Oper, ihr bezahlt uns mit euren Steuergeldern und wir sind auch für euch da.“