DIE TEAMMITGLIEDER
Vanessa Hindinger, 26, studiert Digital Humanities im Master an der Uni Stuttgart.
Benedikt Müller, 25, studiert im Master Technologiemanagement an der Uni Stuttgart.
Vanessa ist und Benedikt war WerkstudentIn bei der EnBW Energie Baden-Württemberg AG und dort im Innovationsbereich tätig. Bei der diesjährigen European Student Challenge haben sie mit Ihrem Entwurf „Das digitale Altersheim“ den 3. Platz belegt und wurden beim Publikumsvoting zum Publikumsfavoriten gekürt.
Zu Beginn: Wie habt ihr von der European Student Challenge erfahren und wie lief die Anfangsphase ab?
V: Darüber haben wir uns vor Kurzen erst Gedanken gemacht, es ist nämlich schon etwas länger her. Ich bin der Meinung, dass ich letztes Jahr einen Flyer in der Mensa der Uni gesehen habe. Die Projektidee selbst gab es vorher schon grob, so als Überlegung. Ich hab im Studium während eines Workshops ein paar Impulse bekommen, die diese Überlegungen gestartet haben und habe dann davon auf der Arbeit erzählt. Der Gedanke war folgender: Man müsste doch mal diese ganzen IoT Lösungen, die es in jedem kleinen oder mittelständischen Unternehmen mittlerweile gibt, auch im sozialen Bereich umsetzen können, wo solche Lösungen bisher praktisch non-existent sind. Ja, und dann haben wir relativ bald nach Einreichung unseres Konzepts eine Rückmeldung bekommen, dass wir es ausarbeiten dürfen.
B: Das Gute an der Sache war auch, dass wir beide schon fundierte Wissensgrundlagen in dem Bereich haben und auch mit künstlicher Intelligenz zu tun hatten. Da waren natürlich gute Voraussetzungen gegeben und als wir uns zusammengesetzt haben, konnte es direkt produktiv losgehen. Wir haben unsere Mentoren, Herrn Meene und Herrn Schnürer, kennengelernt, uns mit ihnen ausgetauscht und das war der Start eines sehr guten Prozesses.
Euer Projekt trägt den Titel „Das digitale Altersheim“. Worum geht es bei eurer Idee und wie seid ihr darauf gekommen?
V: Die Idee des digitalen Altersheims – wenn man es so nennen will, das war jetzt bisher immer unser Arbeitstitel – besteht in Folgendem: Der Pflegemarkt an sich ist auch heutzutage noch ein Markt, der absolut wenig mit Digitalisierung zu tun hat. Wir haben bei unseren Recherchen festgestellt, dass selbst die komplexen Dienstpläne immer noch analog funktionieren. Es gibt für den Seniorenmarkt und eben auch den Pflegemarkt nur sehr wenige Angebote für digitalisierte Unterstützung. Was man sonst so aus dem Smart-home Bereich und ähnlichem kennt zielt hauptsächlich auf Zielgruppen ab, die technikaffin sind. Es geht nirgendwo darum, durch die technischen Möglichkeiten, die vorhanden sind, den Alltag zu unterstützen, vor allem für Bewohner und Patienten, die selber keine Devices bedienen können.
Die Idee ist, alle Bewohner eines Alten- bzw. Pflegeheims mit einem Device auszustatten, das wichtige Daten misst, zum Beispiel den Puls oder Stürze. Oder auch ein GPS-Signal, für orientierungslose Personen, für den Fall, dass sie verloren gehen. Das könnte zum Beispiel ein Armband oder eine Uhr sein. Die Daten sollen auf einer lokalen Cloud ausgewertet werden, sodass man als Fachkraft eine Unterstützung durch ein Tablet und/oder eine App hat und somit einen Überblick darüber hat, welchem Bewohner es wie geht. Es geht auch um Früherkennung um Prävention, zum Beispiel durch Anzeige von ungewöhnlich schwachem Puls. Es können Stürze gemeldet werden. Das System könnte dann auch eine Empfehlung an die Pflegekraft ausgeben hier oder da mal nachzuschauen oder einzugreifen.
B: Das Ziel ist quasi, kontinuierlich Messdaten zu generieren, die die Vitalfunktionen tracken. Wir haben jetzt dieses Konzept von einem Armband. Den Prototypen hierfür werden wir auch selbst herstellen, aber unsere Hauptaufgabe ist die Datenbank und der Algorithmus dahinter. Dieser soll unter anderem die Messwerte, die erfasst werden bewerten und ein personenspezifisches Profil erstellen. Er lernt beispielsweise auf Dauer den Ruhepuls und ähnliches und generiert durch solche Informationen die Möglichkeit für eine optimale Pflegequalität.
Auch an der Schnittstelle zur Pflegefachkraft gibt es die verschiedensten Möglichkeiten das abzubilden. Man muss herausfinden, was wirklich gebraucht wird. Eine weitere Option wäre einen Notfallknopf zu integrieren mit dem der Notarzt alarmiert wird und die Messdaten der letzten 24 Stunden zur Verfügung gestellt werden. So können die Sanitäter auf der Anfahrt zum Unfallort schon wissen, was sie erwartet und wie sie sich verhalten müssen.
Uns ist wichtig, dass das von einem einfachen Fitnesstracker abgegrenzt wird. In unserem Fall werden wirklich ganze medizinische Menschmodelle aufgestellt und zugrunde gelegt.
Die Hauptaufgabe ist dieses komplette Backend dahinter. Im Optimalfall finden wir einen Zulieferer, der diese Uhren genauso liefert, wie wir sie haben möchten und wir kümmern uns um die Plattform. Wenn man die Daten hat, geht man damit natürlich vertraulich um, das ist alles verschlüsselt und geschützt. Dann ergeben sich aber noch viele weitere Möglichkeiten, Geschäftsmodelle aufzustellen, zum Beispiel wie vorhin erwähnt in der Zeitplanung, durch den verbesserten Überblick.
V: Wir wollen uns auch davon lösen zu sagen: „Wir bieten ein Überwachungssystem an, komm nur noch ins Zimmer, wenn das System es dir anzeigt.“ Das ist nicht der Fall. Im Endeffekt sind es technische Empfehlungen, die eine Pflegefachkraft nicht ersetzen können, sonder sie nur unterstützen sollen.
Wie war die Zusammenarbeit mit den Mentoren?
B: Wir hatten einen sehr guten Austausch mit unserem Mentoren, haben uns mehrmals zusammengesetzt und über verschiedenste Dinge gesprochen. Dabei ging es sowohl um technische Facetten als auch um generelle strategische Sachen – was wäre sinnvoll, auch von den Funktionalitäten her. Wir hatten das Ziel, so viel wie möglich von der Erfahrung unserer Mentoren abzuschöpfen.
Anfänglich haben wir das Konzept auch noch ziemlich offen gelassen – wenn man das schon zu Beginn zu sehr eingrenzt, ist es oft so, dass man den Ideenfluss zu stark einschränkt. Wir sind erstmal wenig definiert rangegangen und haben somit auch den größtmöglichen Erfahrungsschatz abgreifen können.
V: Hilfreich war zudem, dass man einfach jemanden hatte, der Erfahrung mitbringt und einen häufig spiegelt. Ich glaube gerade häufiges nachfragen hat uns oft weitergeholfen – auch häufiges kritisches Nachfragen, damit man eben mal merkt, wo die Schwachstellen sind. In der Anfangsphase eines solchen Projekts geht es darum Weichen zu stellen, zu überlegen wie man vorgeht, weil es so viele Möglichkeiten gibt.
Feedback von Menschen, die im Pflegebereich tätig sind oder sonstig betroffen sind, wäre sicherlich auch hilfreich.
V: Wir haben relativ schnell gemerkt, dass wir sehr viel wissen, aber gleichzeitig auch sehr vieles nicht wissen. Jeder ist irgendwo auf seinem Gebiet gut, aber es gibt eben auch tausende Gebiete, von denen wir keine Ahnung haben. Es ist ganz wichtig, auf verschiedene Menschen zuzugehen, sich deren Wissen einzuholen und zu bündeln. Demnächst wollen wir die Idee in einem Test-Altersheim in unserer Nähe vorstellen und eine Feldstudie starten.
B: Die besten Daten bekommt man von Menschen, die schon jahrelang in dem Bereich tätig sind. Man darf sich da auf keinen Fall auf Medien oder ähnliche Berichte verlassen, sondern sollte immer in persönlichen Kontakt treten. Sobald der Prototyp steht, möchten wir auch Langzeitstudien starten und das Produkt direkt vor Ort mit den betroffenen Personen weiterentwickeln.
Vielen Dank an Vanessa und Benedikt für das aufschlussreiche Interview!
Fotos: Bettina Bamberg