„Jeder Maus ein Haus“
So las ich letzte Woche auf einem Protestschild zu bezahlbarem Wohnraum und so sollte es zumindest im Idealfall sein. Doch der stetige Wohnungsmangel und das damit einhergehende, leidige Thema der Wohnungssuche sind kein Ausnahmefall mehr, sondern schon längst zur Regel geworden. Handlungsbedarf besteht schon lange, ein Problem, das auch Alexander Weiss, 28, immer wieder beschäftigt. 2020 gründete er deshalb flatsforfriendz.
Ausschlaggebend waren dabei nicht zuletzt Erfahrungen, die er in seinem direkten Umfeld immer wieder beobachten konnte. Nachdem sein Bruder vor etwas mehr als vier Jahren dann seine damalige Wohnung an eine Eigenbedarfseinforderung lassen musste, hatte Alex genug.
„Damals lief noch viel über Facebook, heutzutage eher bei Instagram: Irgendjemand, den man über mehrere Ecken kannte, hatte irgendwas dazu gepostet, dass er eine Wohnung anbietet – aber das war dann bereits eine Woche her, ich konnte das Ganze nicht mehr zurückverfolgen. Facebook und Instagram sind auch einfach nicht für die Wohnungsvermittlung geeignet: Stories verschwinden nach 24 Stunden. Der Newsfeed ist voll mit Werbung. Die schiere Menge an Input erschwert alles zusätzlich. Das heißt, wenn jemand so etwas postet, dann braucht man ziemlich viel Glück, dass es in dem Moment auch die Leute erreicht, denen es nützt. Und doch wird das immer wieder genau so genutzt.“
Dieses für Digital Natives ganz natürliche Nutzungsverhalten irgendwie zu bündeln, schien der nächste logische Schritt.
„Gerade in den jüngeren Generationen haben nahezu 100% der Leute, mit denen wir gesprochen haben, angegeben, dass sie zuerst immer im eigenen Netzwerk nachfragen – unabhängig davon, ob eine Wohnung oder vielleicht ein Nachmieter gesucht wird. Und das eben nicht nur digital, sondern auch persönlich im direkten Umfeld. Und in den allermeisten Fällen folgt als nächstes ein Instagram-Post.“
Die Erfolgsrate hierbei bewege sich allerdings bei gerade einmal 5%, so Alex. „Es gibt einfach so viele, die das machen. Das dann zur richtigen Zeit zu sehen oder überhaupt auf ein Angebot zu treffen, welches die jeweiligen Bedürfnisse erfüllt, erfordert schon einen großen Zufall.“
Um eben diesem Zufall etwas auf die Sprünge zu helfen, erstellt Alex 2020 die Instagram-Seite flatsforfriendz. Die bereits bestehende Infrastruktur der Stories und Story-Highlights bieten nun die Grundlage, das etablierte Nutzerverhalten beizubehalten, nun jedoch gesammelt an einem Ort auffindbar zu machen. Wer regelmäßig auf Instagram unterwegs ist, ist sicherlich schon häufiger einem solchen Wohnungsgesuch in seinen Followerkreisen begegnet. Die Zahl der potentiellen Abhilfen beschränkt sich dabei allerdings auf das eigene Netzwerk. Und genau hier kommt flatsforfriendz ins Spiel und agiert quasi als ein Tool zur Netzwerkerweiterung.
Das Ganze funktioniert über ein simples Template, das User screenshotten und ausgefüllt in ihre Story posten können, um dann durch flatsforfriendz geteilt zu werden. Eingeordnet nach Städten in den Story-Highlights des Profils sind so sowohl Suchanfragen als auch Angebote einsehbar und auch längerfristig gebündelt auffindbar.
„Alle wichtigen Information sind auf einen Blick ersichtlich: Was wird gesucht oder geboten, in welchen Stadtteil will ich ziehen, für welchen Zeitraum und auch wie hoch die Miete sein darf. Das erleichtert auch den Austausch aller relevanten Informationen.“
Menschen täglich , die in Deutschland umziehen
Städte, in denen durch fff bereits Wohnugen vermittelt wurden
Wohnungsanzeigen, die täglich bei fff eingehen
Knapp 80 Wohnungsanzeigen gehen dabei pro Tag ein. „Da ist sicherlich noch Luft nach oben, zumal man davon ausgeht, dass in Deutschland täglich 25.000 Menschen umziehen. Letztendlich macht es aber keinen Sinn, wenn 2000 dieser Anzeigen beispielsweise in Regensburg suchen und 500 in Berlin bieten. Man braucht eine sehr, sehr gesunde Search-Offer-Ratio in den einzelnen Städten. Also, dass zu einem Suchangebot auch eine passende Anfrage existiert und umgekehrt. Wir haben da ein sehr gesundes Verhältnis von ca. zwei Suchen zu einem Angebot, städte- und sogar stadtteilbasiert.“
Insgesamt wurden so bereits in 235 Städten in und außerhalb Deutschlands Unterkünfte gesucht, geboten und gefunden, die Anfragen mehren sich. Einer der Gründe, die das Projekt nun vor neue Herausforderungen stellt:
„Wir haben gerade sozusagen Wachstumsschmerzen. Wir wachsen momentan sehr stark, sehr schnell und das führt uns natürlicherweise an einen Punkt, wo wir auch bei Instagram als Infrastrukturgeber an Limitierungen gelangen: Die fehlende Möglichkeit, zu filtern, etwas in eine Suche einzugeben und nur passende Angebote präsentiert zu bekommen. Auch sind Personen, die beispielsweise einen privaten Account haben, in dieser Erfahrung eingeschränkt. Insgesamt ist die User Experience also nicht optimal. Vor allem aber gibt es bei Instagram eine Maximalbegrenzung von 100 Stories pro Highlight, allein deshalb fallen immer wieder auch aktuelle Posts insbesondere der höher nachgefragten Städte raus. Da geht dann der intendierte Use Case etwas verloren.“
Der Ausbau einer zusätzlichen WebApp war daher der nächste logische Schritt, um mit diesen Limitationen umzugehen. Seit dem 1. Juli ist nun also auch eine flatsforfriendz-App in Arbeit. Einfach nur eine weitere Version der großen Vermittlungsplattformen soll diese jedoch nicht werden.
„Grundsätzlich wollen wir eine Art Kombination der unterschiedlichen Möglichkeiten anbieten können: Best of Both Worlds sozusagen. Der Aspekt der Netzwerkerweiterung durch eine Schnittstelle zu Instagram soll weiterhin erhalten bleiben. Wir wollen den Usern aber auch die Vorteile von einer autarken Plattform bieten. Beispielsweise filtern, mehr Informationen angeben zu können, auch die Kontaktaufnahme von Instagram auf eine andere Plattform zu verschieben. Wir haben unzählige Datensätze analysiert, mit hunderten Leuten gesprochen und haben mittlerweile ein sehr gutes Gefühl dafür, welche Probleme bestehen. Und wir glauben, dass weder eine autarke Plattform noch Instagram allein ausreichen, um diese zu lösen.“
„Effizienz und Vertrauen“
Besonders zwei Aspekte sollen dabei im Fokus des Vorhabens stehen: Effizienz und Vertrauen.
Dass hier Handlungsbedarf besteht, wird schnell ersichtlich, wenn man sich je selbst auf Wohnungssuche begeben hat oder sich mit Personen unterhält, auf die dies zutrifft. Selten hört man jemanden sagen: „Meine Güte hab ich schnell eine Wohnung gefunden, meine Suche verlief super einfach und angenehm.“
Den Prozess der Wohnungssuche könne man in vier Phasen einteilen, so Alex. „Phase 1 ist die Erstellung einer Anfrage, beispielsweise das Ausfüllen des Templates. Daraufhin folgt in Phase 2 ein unglaublich langer Kommunikationsprozess, bei dem alle die gleichen Fragen stellen: Wie ist die Lage, gibt es mehr Fotos, was ist die genaue Adresse und so weiter. Es gehen unzählige Nachrichten hin und her. Und dann gibt es quasi die letzten beiden Phasen, in denen eine engere Auswahl und letztendlich eine Entscheidung getroffen werden. Das Ganze ist unfassbar standardisiert und repetitiv. Und tatsächlich nehmen die ersten beiden Phasen, also die Kreation und Kommunikation, dabei knapp 80% des gesamten Prozesses ein. Und diese Phasen halten wir für optimierbar.“
„Auch wollen wir ein Produkt bauen, das es für die Bietenden einfacher macht zu inserieren, denn wenn mehr Leute bieten, weil der Prozess einfacher ist, steigt auch für die Suchenden die Wahrscheinlichkeit eine Wohnung zu bekommen.“
„Es kann nicht sein, dass wir überlegen, auf dem Mars zu landen aber immer noch das Problem besteht, dass gerade junge Frauen, die in eine neue Stadt ziehen und dort verzweifelt nach einer Wohnung suchen, dabei nicht sicher und geschützt vorgehen können.“
Und noch ein weiteres Thema beschäftigt Alex und soll das Produkt prägen: „Es kann nicht sein, dass wir überlegen, auf dem Mars zu landen aber immer noch das Problem besteht, dass gerade junge Frauen, die in eine neue Stadt ziehen und dort verzweifelt nach einer Wohnung suchen, dabei nicht sicher und geschützt vorgehen können.“
Schon in der Maslowschen Bedürfnispyramide sei „Shelter“, also Wohnen, als Grundbedürfnis aufgelistet, merkt Alex an. Jemand, der sich verzweifelt auf Wohnungssuche befindet, landet dadurch schnell in einem erheblichen Machtgefälle – „Und dieses Problem von zu wenig Wohnraum kombiniert mit einer unglaublich hohen Anonymität, die das Internet dabei ermöglicht, bietet den perfekten Breeding Ground für Sexual Harassment und ähnliche Problematiken. Viele, die wir interviewt haben, haben zum Beispiel davon berichtet, dass sie selbst oder jemand, den sie kennen, schon mal Opfer von einem Betrugsfall geworden sind.“
Gerade Frauen sind dabei häufig von unseriösen Nachrichten, unangenehmen Situationen und bedrohlichen Begegnungen betroffen. Von unangemessenen Angeboten über unerwünschte Avancen bis hin zu Verhandlungen über Sexuelle Dienstleistungen ist da alles dabei.
„So etwas ist auf manchen Plattformen leider Alltag. Und das darf einfach keine Normalität sein. Das wird etwas sein, das uns noch länger beschäftigt.“
Das Ziel, die Suche nach einer neuen Bleibe angenehmer und erfolgreicher zu gestalten als es bisher der Fall ist, ein Produkt zu schaffen, das tatsächlich eine positive Veränderung in diesen so festgefahrenen Markt bringt, gehören zu den größten Motivatoren, die Alex bei seinem Vorhaben antreiben.
„Alle immer reden über den glücklichen Zufall – wir glauben, dass da mehr dahinter steckt. Langfristig ist es unser Ziel, neue Maßstäbe zu setzen. Das wollen wir zum einen durch den erhöhten Netzwerkgedanken und zum anderen durch den Fokus auf unsere zwei Kernpunkte Vertrauen und Effizienz erreichen. Wir wollen den Status quo der Wohnungssuche verändern, eine neue Möglichkeit bieten. Wir glauben, dass sich das Nutzerverhalten stark verändert hat und das Ganze technologisch optimierbar ist. Es geht letztendlich nicht allein um das Ergebnis, eine Wohnung zu finden, sondern auch darum, dass der Prozess der Wohnungssuche eine angenehmere, positivere und sicherere Erfahrung wird.“