Vor langer, langer Zeit, man mag es kaum glauben, begann ich doch tatsächlich mal ein Architekturstudium.
Okay, es ist etwa 2 Jahre her, und warum man es nicht glauben mag, weiß ich eigentlich gar nicht. Als ich das verkündet hab, kam eigentlich von allen Seiten: „Boah, das passt voll gut zu dir“, „Kann ich mir echt gut vorstellen“, „Du bist ja auch so kreativ“. Vermutlich kann man es sehr gut glauben, bis man die ganze Geschichte gehört hat.
Dass Architektur viel mit Kreativität zu tun hat, bestätigte sich mir gleich in der Einführungswoche. Zu hundertfünfzigst saßen wir in einen viel zu kleinen Raum gequetscht, manche auf den Treppen und in den Gängen und bekamen Arbeiten von bekannten Architekten präsentiert. Nun bin ich ja all for künstlerische Freiheit und so, aber mein erste Gedanke dazu war eher: „…what?“ Die Bilder, die da von dem röchelnden Beamer an die Wand projiziert wurden, erinnerten eher an die Fingermalereien einen Kleinkindes. Manche waren auch wirre Collagen aus Zeitungsausschnitten und Bildern, andere Farbkleckse einer Farbfamilie in unterschiedlichen Größen angeordnet.
„Was machen denn Architekten nun tatsächlich?“, fragt man sich, denn das kann ja wohl nicht deren Ernst sein. Alles schön und gut, aber wer baut danach ein Haus? Und vor allem: wie?
Die Arbeiten wurden in den Himmel gelobt, ein Gebäude war für mich trotzdem nicht erkennbar. Gut, Architekten sind Künstler bla bla, alles klar. Vielleicht geht man ja später noch mal darauf ein.
Aber zurück zum Anfang: Zusammengepfercht in dem nach faulen Eiern stinkenden Raum – man hatte mich vorgewarnt, ich war also mental darauf vorbereitet – erzählten uns verschiedene Dozenten und Tutoren etwas zum Studiumsinhalt, organisatorischen Verlauf und stellten sich vor. Sie zeigten Bilder von Exkursionen und Bauten: „Hier sind unsere 5.-Semester letzten Jahres, die sind nach Haiti gefahren und haben dort eine Schule gebaut“.
Wow, das muss ich erstmal sacken lassen. Sowas will ich auch machen.
Die Stundenpläne werden verteilt, Im Gegensatz zu vielen anderen Studiengängen ist dieser ziemlich festgelegt. Und nicht nur das – er ist bis obenhin vollgestopft. Jeden Tag von 8-20 Uhr. Der einzige Lichtblick: Donnerstag – da ist immerhin um 18 Uhr Schluss. „Freut euch nicht zu früh“, ruft der verteilende Tutor laut durch den Raum – „Da ist ein Fehler drauf – am Donnerstag ist danach noch Gruppenarbeit am Modell, zwei Blöcke.“
Mir wird ein bisschen schwindlig und ich versuche, mein Gesicht nicht allzu stark zu verziehen, während ich die vier weiteren Stunden an den Donnerstag anhänge und den Stundenplan bis zu 22 Uhr ausmale – da hilft auch das aufmunternde Neonpink meines Textmarkers nicht viel.
Dazu kommen sieben Klausuren im ersten Semester, erfahren wir dann noch. Das wird so schnell auch nicht wieder besser. Und dann wird uns noch erzählt, dass Architekten ja im Endeffekt nichts von dem tun, was wir hier überhaupt lernen – hierfür gibt’s technische Zeichner, dafür Bauingenieure und für das andere Stadt- und Regionalplaner, hierfür Statiker. Sehr motivierend. Besonders bei so einem Stundenplan. Was Architekten nun wirklich machen, weiß ich immer noch nicht so recht.
Die erste Pause wird angekündigt und ich folge ein paar Mädchen aus meiner Sitzreihe nach draußen in die Cafeteria. Viel haben wir noch nicht miteinander gesprochen, aber sie sehen eigentlich ganz sympathisch aus. Wir setzen uns zu acht an einen Tisch, mit Kaffee und Brötchen versorgt und das Geplapper beginnt.
„Der Stundenplan ist schon heftig“, sage ich, erleichtert einen Schluck meines Kaffees schlürfend. Ich hatte heute noch keinen. „Ach, so schlimm ist es nicht, find‘ ihn eigentlich voll okay.“, sagt eine und ich traue meinen Ohren kaum. „Ja, ich bin froh, dass ich es am Montag zum Sport schaffe“, sagt eine andere. „Oh, was machst du, ich mache 6 Stunden die Woche Yoga bei fitness first! Das kann ich auch gut Abends nach dem Studium machen.“ Wortlos kaue ich an meinem Holzstäbchen herum, während die anderen sich darüber auslassen, wie voll ihre Woche ist und wie ihnen das rein gar nichts ausmacht. Die reden so, wie Leute ihr Leben in Social Media darstellen, denke ich. Das ist offensichtlich nicht mein Kreis hier. Ich entschuldige mich und murmle was von wegen ich muss da und da hin und stehe auf.
An einem anderen Tisch sitzt eine meiner vorherigen Sitznachbarinnen mit einigen weiteren Leuten und winkt mich zu sich rüber. Erleichtert setze ich mich zu ihnen und hoffe auf mir ähnlicher gestimmte Geister.
Offensichtlich geht es grade um die Semesterticket-Urabstimmung. Wer nicht weiß, was das ist: Ganz aufs Wesentliche runtergeredet geht es im Prinzip darum, ob wie bisher, alle Studierenden einen gleichen Betrag an Studiengebühren (an der TU Berlin ca. 300€ pro Semester) einzahlen, in dem eine Gesamtnetz-Fahrkarte für die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin und etwas außerhalb, für alle enthalten sind. Das wird also sozusagen quersubventioniert. Alle zahlen 300€ (Studiengebühren inkl. Semesterfahrkarte) und jeder kriegt eben dieses Semesterticket. Dann eben auch die, die es nicht benutzen würden. Dafür können es sich aber andere leisten, die sonst was? Zur Uni laufen müssten?
„Was haltet ihr eigentlich so davon?“ fragt eine und erntet rundherum gleichgültige und teilweise erzürnte Blicke. „Also ich find‘ das scheiße“, kommt von der anderen Seite des Tisches, „Ich fahr‘ eh mit dem Auto zur Uni, da brauch ich sowas nicht.“ Mein rechtes Auge zuckt. „Ja, echt mal“, wirft eine andere ein, „ Ich fahr‘ auch nie mit den Öffentlichen, ist doch nicht meine Sache… Warum soll ich für die anderen mitbezahlen?“ Ein zustimmendes Raunen geht durch die Reihen. Mir wird ein wenig schlecht. Schön und gut, dass du es dir leisten kannst, mit dem Auto zu fahren und nicht auf die Öffentlichen angewiesen bist, aber kannst du dir vorstellen, dass es Leute gibt, die das weder können noch wollen? Warum sollte man in einer so ausgezeichnet angebundenen Stadt wie Berlin NICHT die Öffis nehmen, so ganz nebenbei?
Laut sag ich das natürlich nicht, ich versuche ja schließlich, mir keine Feinde zu machen, gleich am ersten Tag. „Wohnt ihr denn weit außerhalb?“, frage ich, gebe ihnen noch eine Chance. „Nö, ich brauch vielleicht 15 Minuten hierher“, „Ich auch.“ Allgemeines Nicken. Ich überlege kurz, was man dazu jetzt sagen soll. „Also ich könnte und wollte mir das nicht leisten, jeden Tag mit dem Auto zu kommen“, überlege ich laut. Dass ich weder Auto noch Führerschein habe und das hauptsächlich aus finanziellen Gründen, erwähne ich lieber gar nicht erst. Dafür sitzen mir hier zu viele Pullover-um-die-Schultern-gebundene, Perlen-Ohrringe-und-Burberry-Schals-tragende, Hunter-Boots-an-den-Füßen-habende Individuen. Du wolltest doch nicht so vorurteilsbehaftet sein, sage ich mir. Das muss doch nichts heißen. Ein paar winken gleichgültig ab: „Zahlen doch eh meine Eltern.“ Schulterzucken.
Das Gespräch bewegt sich vom Semesterticket fort, ich schweige und schlürfe meinen Kaffee. Wo bin ich hier gelandet? Ein paar stehen auf, andere setzen sich dazu. Ich hab die Hoffnung schon ein wenig aufgegeben, heute auf jemanden zu treffen, der meine Ansichten teilt.
Ich tauche aus meinen Gedanken auf, neue Leute am Tisch, das aktuelle Thema scheint „Berufs- und Studiumswahl“ zu sein. „Also mich interessiert Architektur wirklich sehr“, beginnt eine und erzählt dann intensiv über ihre liebsten Architekten, Projekte und Bauten. Ich bin beeindruckt – ich weiß nicht viel über die Materie, interessiere mich zwar prinzipiell für Architektur, aber das ist ein anderes Kaliber. Ich sitze im Endeffekt nämlich nur hier, weil es das Einzige ist, bei dem ich angenommen wurde. „Also ich mach es hauptsächlich, weil meine Eltern es wollten – die sind bei auch Architekten und ich wurde schon von klein auf in die Richtung gelenkt“, die Richtung des Gesprächs ändert sich zu den Berufen der Eltern. Rundherum haben irgendwie alle Eltern, die „A-Berufe“ ausüben – Anwälte, Architekten, Ärzte… Meine Mutter übt auch einen A-Beruf aus. Dass dieser „Altenpflegerin“ ist, erwähne ich lieber nicht.
Die Perlen-Ohringe, Burberry-Schals und Autofahrerei wundern mich plötzlich gar nicht mehr. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Das ist so überhaupt nicht meine Welt. Ich ziehe McDonald’s mit Freunden jederzeit einem 5-Gänge Menü mit winzigen Portiönchen auf zu großen Tellern vor und trinke in warmen Sommernächten mit Freunden lieber Bierchen und Wodka-Energy am Maybachufer, die Klamotten grün vom Gras und dreckig von der Erde, als in einem High-End Club teuren Wein zu schlürfen. So langsam merk ich allerdings, dass ich wohl in genau gegensätzlicher Gesellschaft bin.
Ich habe bisher vielleicht drei Sätze gesagt und das ist so gar nicht meine Art. Jeder, der mich kennt, kann das bestätigen. Ich fühl‘ mich aber auch nicht besonders animiert, was zu sagen. Jetzt wird diskutiert, was der NC dieses Jahr eigentlich war. „1,6, glaub ich“, sagt eine, eine andere wirft ein: „Nee, 1,9, hab’s mir gestern erst angeguckt.“ Entrüstetes Kopfschütteln. „Voll krass, wie leicht die das denen machen“. Ich frage mich, wer „denen“ sein soll. „1,9 ist viel zu schlecht finde ich.“
„Ja, aber da drunter ist ja keiner rein gekommen.“
„Doch – ich“, sage ich – und bereue es augenblicklich. 10 Augenpaare richten sich auf mich, schweigend. What the hell, die hier werden eh nicht meine Freunde, beschließe ich und schlage alle Vorsicht in den Wind. Ich bin schließlich ein ehrlicher Mensch. „Ich hatte 2,5, bin über die Wartesemester rein gekommen.“
Ungläubige Blicke, Stille. Dann bricht ein Mädchen plötzlich das Schweigen, schaut mich mit angewidertem Blick an: „Äh, du weißt schon, dass du anderen Leuten den Platz weg nimmst, die es wirklich verdient haben, hier zu sein??“
Ich traue meinen Ohren kaum, innerlich muss ich aber ein bisschen lachen. Ist das gerade ihr ernst?
„Nö.“, antworte ich. „Ich bin über Wartesemester rein gekommen, also hab ich niemandem mit einer besseren Note den Platz ‚weggenommen‘, sondern höchstens jemandem mit gleichviel Wartezeit.“ Daraufhin stehe ich auf, nehme meinen leeren Kaffeebecher und gehe. Es fühlt sich nicht ganz wie ein Mic-Drop an, aber es ist schon okay. Beim Gehen höre ich hinter mir ein leises „Glaubt ihr, wir haben noch mehr von denen im Studium??“ Unglaublich. Ich fühle mich ein bisschen wie in einer schlechten Version von Mean Girls.
Nach der Pause, wieder im Raum versammelt, geht es erstmal weiter. Als erstes sollen wir uns die Skripte besorgen, am besten gleich. Ein Tutor fährt mit einem kleinen Servierwagen hinein, darauf ein Stapel gebunden Skripte und das KVV. Der Dozent zählt auf, welche wir uns besorgen müssen und fasst letztendlich zusammen: „…Das sind dann also 47€ für die Skripte und nochmal 3,50€ für das KVV. Die könnt ihr euch gleich dahinten abholen“, er deutet auf den Tutoren mit dem Servierwagen. Die Leute stehen auf, drängen sich ans Ende des Raumes, Portemonnaies gezückt. Ich bin verdutzt – bin ich die Einzige, die keine 50€ bar im Portemonnaie hat? Nur wenige weitere bleiben auf ihren Plätzen sitzen.
Mit den Anschaffungen geht es weiter, sobald alle auf ihren Plätzen sitzen und wieder Ruhe eingekehrt ist: Dieses und jenes Budget für Modell-Material, bestimmtes Papier, einen 300€ teuren Zeichentisch, ohne den wir, nach Aussage des Dozenten „gar nicht erst Architektur studieren brauchen“. Ja, es muss der sein. Nein, ein anderer geht nicht. Ich schlucke. Dieses Studium wird mich wohl einiges kosten.
Zu allem Überfluss sind aber nicht nur die Kommilitonen, die ich bisher kennengelernt habe, nicht ganz mein cup of tea, auch die Einstellung der Dozenten gegenüber Nicht-Architekten setzt mir einen Stein in den Magen. „Wir sind hier ja hauptsächlich Architekten im Raum“ fährt einer fort, blickt durch den Raum. „Außerdem ein paar Bauingenieure.“ Eine Leute blicken sich verwirrt um, schauen misstrauisch herum, als würden sie die „Schuldigen“ ausfindig machen wollen, die es wagen, sich unter sie, die angehenden Architekten, zu mischen. So langsam ekelt mich hier die Atmosphäre massiv an. „…und der ein oder andere Bühnenbildner“, schließt er ab und ein süffisantes Lächeln geht durch die Reihen, der ein oder andere schnaubt. Die armen Bühnenbildner, die hier sitzen. Dann kommt’s: „Bauingenieure sind für uns Architekten ja Menschen zweiter Klasse“, sagt der Professor trocken und ich weiß bis heute nicht, ob er es als Witz meinte oder nicht. Das selbstgefällige Lächeln auf den Gesichtern meiner Kommilitonen jedenfalls zeugt davon, dass sie es nicht als Witz auffassen. Ich beschließe in diesem Moment, dass ich das Ganze hier auf keinen Fall durchziehen werde. Und dabei ist es auch geblieben. Nach einem Jahr war die Reise für mich vorbei, innerlich aber schon nach diesem ersten Tag.
Ich habe danach auf Parties und im Freundeskreis noch viele Architekten getroffen, von der selben Uni und die Meinungen sind gespalten. Ein kleiner Teil kann meine Erfahrungen nicht bestätigen, der Rest aber stimmt mir zu, betont aber, dass es nur in den ersten Semestern so war: „Spätestens nach dem 3. Semester ist man durch die Gruppenarbeiten und die ganze harte Arbeit einfach so zusammengeschweißt, da gibt’s kein Gezicke mehr. Die Hälfte wurde ausgesiebt und der Rest klebt unerschütterlich zusammen“.
Ein bisschen tut’s mir danach leid, aber schön war es trotzdem nicht. Die Leute in meinem jetzigen Studium sind super und das komplette Gegenteil. Ich find‘ die Studieninhalte toll, auch wenn ich noch nicht so ganz weiß, was ich später damit anfangen soll. Der Stundenplan ist ein Traum und insgesamt bin ich sehr froh, gewechselt zu haben. Heute kann ich über meine Einführungswoche lachen und (hoffentlich) unterhaltsame Artikel darüber schreiben.
Und: Lasst euch auf keinen Fall von dem hier Erzählten abschrecken, wenn ihr wirklich gern Architektur studieren wollt! Zieht es durch und ignoriert Leute, mit denen ihr nicht klar kommt – wenn ihr wirklich liebt was ihr tut, fällt das nicht schwer. Zumal es anscheinend ja nicht immer so ist, vielleicht hatte ich ja auch einfach nur Pech. Im Endeffekt war das ganze Studium für mich einfach nichts, sonst hätte ich ja nicht damit aufgehört.