„Der Widerstand war zu 100% da, da hat keiner dran geglaubt.“
Winfried Schmidt, Gründer von VetVital und MedicoHyl, erzählt vom Tierarztberuf, seinem Werdegang, Kamelprodukten, was man wissen sollte und warum alles auch immer anders kommen kann.
THE SOPHOMORE: Erzählen Sie doch erstmal was über sich: Was machen Sie so beruflich?
Schmidt: Ich hab‘ Tiermedizin in Hannover studiert, dort auch promoviert über das Thema Hyaluronsäure bei Pferden – sehr spannendes Thema. Damals hat man in die Sehne des Pferdes Hyaluronsäure gespritzt, um bei Sehnenschäden zu schauen, welchen Einfluss das Präparat Hyaluronsäure hat. Ich bin dann nicht in die Praxis gegangen, sondern in die Pharmabranche, hab ‘ne Zeit lang in München für Schering-Plough gearbeitet, bin dann von Bayer abgeworben worden. 1995 bin ich nach Leverkusen gewechselt, da war ich zuständig für das tiermedizinische Geschäft, bin dann 1997 Geschäftsführer von Bayer in Indien geworden, da war ich bis 2000. 2001 habe ich mich selbstständig gemacht – und zwar erst mit der Firma VetVital und entwickle und vertreibe da ausschließlich für den Tierarztkanal, als nur für Tierärzte in Deutschland, sogenannte Ergänzungsfuttermittel. Angefangen mit einer Pferdelinie mit mittlerweile 16 Produkten.
THE SOPHOMORE: Und Kamelprodukte!
Schmidt: Ja, kommen wir gleich zu… (lacht) Dann ist da noch 2008 eine Kleintierlinie dazugekommen – also Kleintiere à la Hund und Katze, um das Ganze ein bisschen abzurunden.
Und dann ist nebenbei auch eine Kamellinie entstanden, weil wir eben sehr viele Anfragen aus dem Nahen Osten hatten, aus Dubai etc., ob wir nicht was für Kamele machen könnten, weil in den Ländern Dubai, Katar etc. die Kamelpopulation natürlich bedeutend höher ist als die Pferdepopulation. 2003 habe ich parallel ein Produkt für den Pferdesektor auf den Markt gebracht, das Hyaluronsäure beinhaltet, aber oral aufgenommen wird. Hab also mein schönes Promotionsthema wiederaufgenommen.
Der Widerstand war zu 100% da, da hat keiner daran geglaubt, dass das überhaupt funktioniert, weil niemand sich vorstellen konnte, dass über den Mund aufgenommene Hyaluronsäure im Kniegelenk ankommt. Das hat sich dann aber bewahrheitet und es ist zum absoluten Top-Produkt der Firma geworden – das OrthoHyl – im Pferdesektor und später auch im Hunde- und Katzensektor.
Dann ist das schöne passiert – wie oft im Pferdesektor – man kennt das, von Pferdesalben, die bei Aldi verkauft werden, die im Prinzip nur die Menschen nehmen, um sich ein Knie einzureiben, haben mich dann mehr und mehr Tierärzte auf Messen angesprochen und sich bedankt. Ich dachte: „Ihr verdient gutes Geld mit mir, das wird wohl der Hintergrund sein“ – „Nein, nein, ich musste das so sagen, seit sechs Wochen teste ich das OrthoHyl selber, weil ich solche Schulterprobleme habe“.
Es wurden immer mehr und irgendwann dachte ich, es macht Sinn, eine Humanfirma aufzumachen. Dann habe ich die MedicoHyl gegründet mit Sitz in Münster und wir vertreiben jetzt Präparate für Menschen, die auf Gelenkproblematiken hinzielen und auch auf Hautprobleme. Das ist eine tolle Kombi geworden – eine Symbiose.
THE SOPHOMORE: So passiert es manchmal… Waren Sie jemals praktizierender Tierarzt?
Schmidt: Ja, natürlich – über das Studium haben wir praktiziert, über die Praktika, kurz nach dem Studium auch ein bisschen, aber nicht jetzt so, dass ich mich rühmen könnte…
THE SOPHOMORE: Dann bin ich total unvorbereitet! (lachen) Der Artikel sollte davon handeln, dass das mittlerweile fast nur ein weiblicher Beruf und für Männer doch auch interessant ist! Was sind denn Ihre Gedanken dazu?
Schmidt: Wenn ich Tiermedizin studiere, kann ich natürlich in Praxen gehen. Ich kann Kleintier-, Pferde-, Rinder-, Schweinemediziner werden, ich kann mich um Geflügel kümmern oder um Fische – diese ganzen Fachrichtungen kann ich machen. Ich kann an die Universität gehen, forschen, ich kann in die Industrie gehen und Produktmanager werden oder dort ins Labor gehen und an Medikamenten forschen, ich kann in die Behörden gehen, ich kann mich für Tierwohl engagieren als Tierarzt – die Bandbreite ist einfach enorm.
Über die letzten, sagen wir 15 Jahre, hat sich herauskristallisiert, dass Mädchen in der Schule wohl straighter, wissbegieriger, fleißiger sind und einfach den besseren Numerus-Clausus-Schnitt machen. Und so hat sich das Blatt gewendet: Vor 50-60 Jahren waren es ausschließlich Jungs, die Tiermedizin studiert haben. Das hatte damals auch mit einem anderen Anforderungsprofil an einen Tierarzt zu tun, weil Tierärzte sich früher einfach vorrangig um Bauernhöfe gekümmert haben. Da gab es keine Hunde und Katzen in dieser Menge wie heute.
THE SOPHOMORE: Da braucht man wahrscheinlich auch ganz andere körperliche Anforderungen, um ein Pferd unter Kontrolle zu kriegen…
Schmidt: Ja, richtig – ein reiner Männerberuf damals. Obwohl Mädels das natürlich auch können, keine Frage.
THE SOPHOMORE: Was haben Sie denn für einen Rat an Leute, die gerne in die Richtung gehen würden, aber noch nicht sicher ist, ob das wirklich ihre berufliche Zukunft werden soll? Man sieht ja, dass man hinterher auch andere Wege gehen kann.
Schmidt: Also wir haben vor vier Jahren den sogenannten Dessauer Zukunftskreis gegründet, wo sich aus dem Umfeld Tiermedizin die unterschiedlichsten Menschen treffen. Wir sind so im Schnitt immer 16-18 Menschen, die sich zwei-drei Mal im Jahr treffen, um Thematiken der Tiermedizin zu besprechen. Das sind Leute von der Universität, aus der Pharmaindustrie, Tierärzte mit Kleintier- oder Pferdekliniken, Leute aus Laboren etc. – also ein sehr breites Spektrum an Teilnehmern, um eben die Zukunft der Tiermedizin zu diskutieren. Und eine Sache war eben, Studien durchzuführen, warum in manchen Städten – zum Beispiel in Hannover, der ältesten Uni der Welt mit Tiermedizin – in machen Jahrgängen 100% Frauenquote erreicht wurde. Und das liegt zum einen am besseren Abiturdurchschnitt der Mädchen und zum anderen haben wir so herausgefunden, dass die Jungs einfach technikbegeisterter sind.
Tiermedizin hat natürlich auch viel mit Technik zu tun – Röntgen, neue Szintigraphie, MRT-Sachen, Ultraschall… Aber dennoch ist es nicht der klassische Technik-Beruf. Zudem stellen sich Jungs öfter die Frage „Wie viel Geld kann ich damit verdienen?“ und da fällt dann oft eher die Entscheidung für Zahnmedizin oder Orthopädie als für Tiermedizin. Komischerweise ist auch bei 95% aller Tiermedizinstudenten die Richtung schon mit 12 Jahren festgelegt worden.
THE SOPHOMORE: Ja, viele wollen ja schon im Kindheitsalter Tierarzt werden… Was muss einem denn in jungen Jahren klar sein, wenn man diesen Beruf anstrebt – was ist vielleicht anders, als man es sich ausmalt?
Schmidt: Der Beruf ist mit Sicherheit nicht, so wie es Menschen im Alter zwischen 12 und 15 denken, diese Pony-Idylle.
THE SOPHOMORE: Tiere streicheln?
Schmidt: Genau! *Kuschel kuschel*, etc. Ein Hauptargument für die Tiermedizin in dem Alter ist: „Ich bin tierlieb.“
THE SOPHOMORE: Ja, aber das ist ja auch eine Voraussetzung, oder?
Schmidt: Ja, aber ich habe auch in der Diskussion sofort gesagt: Ich bin erstaunt über diese Sache, es ist schön, dass man das sagt, aber ich habe noch nie in meinem Leben, egal in welcher Universität, irgendeinen Humanmedizinstudenten getroffen, der sagt: „Ich bin Menschenlieb“. Das scheinen wohl andere Gründe zu sein. Wenn junge Menschen sich eventuell für den Beruf Tierarzt entscheiden wollen, relativ einfach: Einfach mal im Ort einen Tierarzt aufsuchen und fragen: „Kann ich mal hier, ich bin Schüler, ein Praktikum machen? Ich will da mal reinriechen – kann ich das überhaupt? Kann ich mal eine OP sehen? Kann ich einem Hund Blut abnehmen?“ Ganz simple Sachen, um herauszufinden: Ist es das Richtige?
THE SOPHOMORE: Das ist im Berufsleben ja immer so – oft kommt es anders, als man es sich vorstellt. Wie haben Sie denn so Ihr Studium in Erinnerung?
Schmidt: Das Studium ist ein extrem verschultes Studium und vom ersten Tag an mit einem sehr hohen Aufwand verbunden: Von der ersten Woche, vom ersten Tag an machen Sie Testate, Abtestate, Prüfung, Prüfung, Prüfung, Prüfung… Das Studium dauert fünf Jahre – zehn Semester – Sie fangen an mit Vorphysikum nach einem Jahr, Physikum nach zwei Jahren, dann Erstes Staatsexamen nach drei, Zweites Staatsexamen nach vier und Drittes nach fünf Jahren. „Gib einem Tiermedizinstudenten ein Telefonbuch und er kann dir nach einem Tag sagen, auf welcher Seite was ist“ – das ist seit 30 oder 40 Jahren ein gängiger Spruch. Es ist, wie Humanmedizin auch, ein sehr lernintensives Studium. Aber unter denen, die anfangen, ist die Quote, dass man scheitert, relativ gering.
THE SOPHOMORE: Was sind denn die größten Herausforderungen an dem Beruf?
Schmidt: Das ist insofern schwierig zu beantworten, da man den Beruf sehr facettenreich gestalten kann. Wenn Sie natürlich zu einer Behörde gehen, ist es natürlich was ganz anderes, als wenn Sie sich im Tierschutz engagieren, in einer Kleintierpraxis oder auf einem Schlachthof arbeiten. Im Vordergrund sollte immer stehen, dass sie dem Tier dienen und alles dafür tun, das Tier retten oder heilen zu können.
THE SOPHOMORE: Und wie sind Sie dazu gekommen, vom praktizierenden Tierarzt in eine andere Richtung zu gehen?
Schmidt: Ich habe einfach während der letzten Jahre des Studiums gemerkt, dass quasi zwei Seelen in einer Brust sind: Auf der einen Seite habe ich gemerkt, dass ich mich für Marketing und Wirtschaft interessiere und auf der anderen Seite für Tiermedizin. Ich habe für mich ganz klargemacht: „Bevor du jetzt in die Praxe gehst und Tierarzt wirst, musst du erst diesen anderen Part, der da ist, für dich klarmachen. Bringt dir das was? Ja oder nein?“. Erst dann hätte ich sagen können, ob das was für mich ist und deshalb habe ich mich direkt in der Pharmabranche beworben und wollte Product Manager, Marketingleiter oder sonst was werden und erst dieses wissenschaftlich-marketingtechnische, wirtschaftliche umsetzen können. Und das ist mir gelungen, weil es mir auch sehr viel Spaß gemacht hatte. Schön ist, dass es immer viele Möglichkeiten gibt und man verschiedene Wege gehen kann.
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