„Was mache ich eigentlich nach dem Abi?“

Das ist wohl die Frage schlechthin. „Studieren, na klar!“ antwortete damals eine (Wer erinnert sich noch?) SchülerVZ-Gruppe. Studieren, so so, aber was und vor allem: wo?

 

Nachdem man die große Hürde, die wichtigen Prüfungen, das Abitur hinter sich gebracht hat, möchte man vor allem unabhängig sein und die Freiheiten des Lebens kennenlernen. Möglichst viel Platz zwischen sich und das altbekannte Haus der Regeln und festen Ausgehzeiten bringen. Für mich ließ das nur eine logische Konsequenz zu: Ich musste ausziehen und zwar weit, weit weg.

Konkret hieß das für mich Bochum. Im Bochum gib es einen hübschen, kleinen Studiengang namens Wirtschaft und Politik Ostasiens, der wenigstens so ansatzweise meine Interessen unter einen Hut bringen kann. Diese Kombination aus neuer Fremdsprache, Gesellschaftswissenschaften und dem kleinen Anteil Mathematik, dem man in den Wirtschaftskursen begegnet, findet man nicht oft. Ehrlich gesagt war das der einzige passende Studiengang, den ich überhaupt gefunden habe.

Aber ich bin nicht hier, um euch über meinen Studiengang vollzuschwallen, sondern, um euch von Bochum zu erzählen.

Von Bochum kann man allerdings gar nicht einzeln erzählen, denn Bochum befindet sich im sogenannten Ruhrgebiet. Bei dem Ruhrgebiet handelt es sich um einen Teil von Nordrhein-Westfalen, der sich ungefähr von Düsseldorf bis Dortmund, von Unna bis Hagen, erstreckt. Anders, als man das vielleicht von anderen Städten gewohnt ist, gibt es im Ruhrgebiet allerdings kaum bis keine Stadtgrenzen. Man läuft die Straße entlang oder sitzt eine Station in der S-Bahn und schon ist man nicht mehr in Essen, sondern schon in Bochum. Das ist auch der Grund, warum man zwar in der Postanschrift Bochum angibt, aber eigentlich im Ruhrgebiet wohnt.

Ziehen wir doch mal den direkten Vergleich: Was unterscheidet das Ruhrgebiet von Berlin, was ist anders in meinem Leben jetzt, im Vergleich zu vor einem Jahr?

Berlin ist die bevölkerungsreichste Stadt Deutschlands, aber Berlin kann mit seinen 3,5 Mio. Einwohnern nicht mit den 5 Mio. konkurrieren. Und doch ist es leerer hier, nicht so gedrängt.

Während es in Berlin kaum einen Fleck Ortschaft gibt, an dem man mal wirklich für sich ganz allein ist, findet man im Ruhrgebiet ganze Landstriche dieser Art. Es sind viele Leute, keine Frage, und so richtig einsam wird man bei acht Mietparteien pro Mehrfamilienhaus auch nicht, aber so richtig von Menschen umgeben – wie halt in Berlin – fühlt man sich nicht. Kein Wunder, denn das Ruhrgebiet ist von der Fläche auch deutlich größer als Berlin und umfasst gleich mehrere Großstädte.

Von der Art her unterscheiden sich die Menschen ebenfalls. Was man von Berlin sagt, stimmt – diese berühmte „Berliner Kodderschnauze“, die gibt’s wirklich. Erst, als ich hier im Ruhrgebiet auf eine merkwürdig-freundliche Art empfangen wurde, habe ich das für mich selbst wirklich begriffen. Es ist anderswo nicht so sehr üblich, einfach frei von der Leber weg zu sagen, was einen beschäftigt. Zumindest außerhalb des engeren Freundeskreises. Man ist hier eher freundlich, benimmt sich, als würde man sich schon ewig kennen und bietet irgendetwas lieber fünf Mal zu viel als ein Mal zu wenig an. Und das habe ich mit der Zeit lieben gelernt. Nicht, dass ich mich der Berliner Schonungslosigkeit nicht mehr klarkäme. Aber manchmal tun ein paar nett gemeinte (Vorsicht, „nett gemeint“ ist oft das Gegenteil von „nett“) Worte einfach gut. Allerdings genießt das Ruhrgebiet selbst einen Ruf à la „hart aber herzlich“. Ich will also gar nicht wissen, was für einen Kulturschock ich erlebt hätte, wenn ich mich nicht für Bochum, sondern vielleicht Stuttgart entschieden hätte.

Ein paar ganz besondere Vergleiche muss ich, als jemand, der sein ganzes Leben in Neukölln und Kreuzberg verbracht hat, noch ziehen. Ich finde es sehr ungewohnt, plötzlich von einer ganz anderen Bevölkerungsmischung umgeben zu sein. Schon immer war ich von vielen Leuten, deren Wurzeln in fremden Ländern liegen umgeben. Nicht, dass es hier im Ruhrgebiet keine Ausländer gibt, die gibt es, doch sie sind nicht nur sehr viel weniger, sondern die Herkunftsländer unterscheiden sich auch sehr von dem, was ich in Neukölln gewohnt war. Während es Zuhause hauptsächlich Menschen türkischer, arabischer und osteuropäischer Abstammung waren, die ich in meinem täglichen Tagesablauf traf, sind es hier eher Leute aus Indien, Afrikaner und viele (junge) Chinesen. Da ich Chinesisch studiere, werde ich mich darüber ganz sicher nicht beschweren – aber schlussendlich ist die Konsequenz, dass es deutlich weniger Bäcker und Kioske gibt (von Spätkäufen kann man im Ruhrgebiet nur träumen). Ganz zu schweigen davon, dass man im ganzen Ruhrgebiet wahrscheinlich nicht einen guten Döner bekommt.

Foto: Bettina Bamberg